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Symbole der Medizin

Ciba-Zeitschrift Dez.1934

1. Wie die Schlange zum Symbol der Medizin wurde

Wie die Schlange zum Symbol der Medizin wurde.

von Dr. C.W. Turner

Den Wanderungen und Wandlungen eines Sinnbildes nachzugehen, ist immer lohnend. Denn jedes Symbol hat seine Geschichte. Zwar sind Ursprung und Anwendung eines Sinnbildes, die Wandlung seiner Gestalt und seiner Bedeutung häufig nicht restlos klar zu stellen, oft genug bleibt man auf Wahrscheinliches und Vermutungen angewiesen. Aber man gewinnt bei der Verfolgung der Entwicklung eines Symbols immer einen interessanten Überblick über ein Stück menschlicher Geistesgeschichte.
Es hat sehr lange gedauert, bis die Schlange zum Symboltier des Asklepios wurde und dann war wieder ein weiter Weg bis zum Sinnbild der Medizin, das sie heute ist.
Die ursprünglichen Bedeutungen sind ganz andere. Die Schlange gilt ja als ein so gefährliches und heimtückisches Reptil, dass es geradezu paradox erscheint, sie zur Begleiterin dieses milden und gütigen Heilgottes zu machen. Tatsächlich hat ihr plötzliches Erscheinen, das behende und gespenstische Gleiten und die Gefährlichkeit ihres Bisses den Menschen der Urzeit nur Schrecken eingejagt.

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Dort, wo die Mittelmeerkultur zuerst sichtbar wird, in Ägypten, ist die Schlange immer als eine Bedrohung empfunden worden. Man hatte Angst vor ihr. Das geht soweit, dass sogar in den Inschriften der Gräber die Schlangenhieroglyphe häufig zerkratzt wurde, weil man noch das Bild der Schlange für gefährlich empfand. Das Urteilsvermögen des Menschen war damals noch so wenig entwickelt, dass die Sache und ihr Bild für ihn gleichbedeutend waren, worauf übrigens die gesamte altägyptische Magie beruht. Wir besitzen noch einen Zauberspruch aus dem alten Ägypten, der zeigt, als wie grauenhaft und gefährlich die Schlange empfunden wurde. Er lautet in der Übertragung:

O Schlange Rerek, komme mir nicht nah.
Du hast Mäuse gefressen, das ist ein Ekel für Re (den Sonnenkönig).
Du hast die Knochen einer verfaulten Katze gekaut.

Mit diesem Spruche greift die Magie die Schlange mit ihrem Namen an, wie sonst mit ihrem Bilde.
Die Denkfähigkeit jener Zeit ist also noch nicht so weit entwickelt, um Symbole in unserem Sinn als Zeichen für bestimmte Eigenschaften, Begriffe und Beziehungen zu schaffen. Aber die Schlangenbilder sind auch keine blossen Abbilder wirklicher Schlangen, sondern magische Bedrohung. Daher die Doppelrolle der Schlange in Ägypten. Sie ist, wenn man sie sich günstig stimmt, göttlicher Schutz vor dem Feind. ihm aber erscheint sie als Bedrohung und Gefahr.
So ist das Bild der Kobra, die mit ihrem breiten Halsschild ein wirklich majestätisches Reptil ist, der Schutz des ägyptischen Pharao. Es erscheint regelmässig im Diadem und an der Stirn des Königs, aber auch als Fries an seinem Sarg und als Bekrönung heiliger Schreine und Tempel. Die Bedeutung dieser Schlange als Königsschlange hat Anlass zu dem Namen "Basilisk" gegeben. Auch in der Vorstellung, die die Ägypter von der Unterwelt hatten, schützen Schlangen Sarg und Mumie, die von andern Schlangen bedroht sind. Da ist die Rede von einer grossen Sandwüste im Totenreich, die dem Sokaris, einem alten Totengott zugehört und die von Schlangen wimmelt. Oder von einer grossen zwölfhundert Ellen langen Schlange, durch deren Körper das Sonnenschiff hindurch muss, und von Schlangen, die zusammen mit Wächtern die feurigen Tore der verschiedenen Räume in der Unterwelt bewachen.
Von hier ist die "chthonische" (der Erde gehörend) Bedeutung ausgegangen, die die Schlange in der altgriechischen Symbolik hatte. Wahrscheinlich waren es die Phönizier, die den Gedanken nach Griechenland brachten, wie manchen anderen, dass die Schlange das Haupttier in der Unterwelt sei. Wir wissen von Homer, wie eng die Handelsverbindungen von Phönizien nach Hellas waren. Und es ist tatsächlich in einem Grab in Präneste eine phönizische Silberschale gefunden worden, die in vielfigurigen Friesen eine Menge Darstellungen des Menschenlebens zeigt und rings von einer Schlange umgeben ist. Sie soll offenbar schon die Erde als solche darstellen, auf der die Menschen ihren Werken nachgehen.
In der griechischen Religion hat die Schlange gleichfalls "chthonischen" Sinn. Die Giganten, die Kinder der Ge, der Erdmutter, haben noch im an dem späten Pergamonaltar Schlangenbeine. Die Schlange bedeutet die religiöse Verbindung mit der Erdtiefe.
Es gibt ein höchst lehrreiches Grabrelief aus Lakonien, jetzt in den Berliner Staatlichen Museen; eine ziemlich derbe, aber sehr charakteristische Arbeit. Dargestellt sind zwei verstorbene auf einem Thron sitzend; der eine hält einen riesigen Becher, um sinnbildlich die Grabspenden entgegenzunehmen. Hinter ihnen ringelt sich eine Schlange hervor und bezeugt sie als heroisierte Verstorbene. Sohn und Tochter bringen ihnen Opfergaben dar, einen Hahn und einen Granatapfel. Ohne das hier an Asklepios zu denken wäre, erinnert man sich doch daran, das Sokrates kurz vor seinem Tod anordnete, man möge dem Asklepios einen Hahn darbringen. Asklepios war eben auch ursprünglich ein erdverbundener Gott.
Es muss eine Zeit gegeben haben, an der man an vielen Punkten der griechischen Welt Gottheiten und Heroen in Gestalt von Schlangen verehrte. Das scheint besonders in Athen der Fall gewesen zu sein, dessen Hauptheroen, Erichthonios und Kekrops, eng mit der Schlange verbunden waren. Gerade auf der Akropolis haben sich bei Ausgrabungen eine ungewöhnlich grosse Zahl schlangengestalteter Dämonenfiguren gefunden. Sie stammen noch aus der Zeit vor den Perserkriegen und waren meist in den Tempelgiebeln angebracht, in deren spitze Ecken sich das Geringel besonders geschickt einschmiegte. Noch in geschichtlicher Zeit gab es eine heilige Schlange auf der Burg, die in einer Felsenhöhle unter dem Athena-Erechtheus-Heiligtum hauste und der man allmonatlich ein Opfer von Honigkuchen darbrachte; es galt als schlimmes Vorzeichen, wenn die Schlange das Opfer nicht annahm. Wie wir uns das vorzustellen haben, zeigt ein schönes Relief der klassischen Zeit, das im Bezirk des Demeterheiligtums von Etheonos in Böotien gefunden wurde. Eine riesige Schlange steckt den Kopf aus einer Felsenhöhle. Ein Mann und ein Knabe, die draussen stehen, bringen ihr kleine Opfergaben, vermutlich solche Honigkuchen. Die Schlange der Akroplis war auch auf dem berühmtesten Kunstwerke angebracht, das die Erde je getragen hat. Sie streckt ihren Kopf wehrhaft unter der Athena-Parthenos-Statue hervor, die Phidias für das Parthenon in Athen gearbeitet hat.

Die andere Bedeutung, die die Griechen den Schlangen zuschrieben, war die mantische. Sie galten als wahrsagende Dämonen, und Aelian sagt geradezu, dass die Mantik etwas den Schlangen eigenes sei. Eine Schlange, die pythische, war eng verbunden mit dem weissagenden Orakel des Apollo zu Delphi. Deshalb war der Dreifuss der Pythia mit Schlangen geschmückt. Von diesem heiligen Gerät stammt die bronzene Säule aus zusammengeringelten Schlangen, die Konstantin aus Delphi nach Konstantinopel brachte.
Hier stehen wir am entscheidenden Punkt einer religiösen Entwicklung. Während in alter Zeit die Schlangen ebenso wie andere unheimliche und selbst phantastische Tiere, als mächtige Dämonen gelten konnten, widerstrebte das dem Geist des klassischen Griechentums durchaus. Es hat von seinen Göttern die Vorstellung erhabener unendlich schöner Wesen, die über die Erde und den Menschen walten. In diesem tieferen und hamonischen Verstehen des Gottes wird die Schlange aus einem Dämon zum Begleittier und selbst zum Attribut eines Gottes.

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Asklepios ist also nicht der einzige Gott, der mit der Schlange als Symboltier dargestellt wurde, wohl aber der wichtigste. Ihm gehörte die Schlange am engsten zu, nicht nur durch die gemeinsame Kultstätte, wie dem Zeus Meilichios und der Athena Parthenos, sondern durch die innere Verbundenheit. Der Grund ist eben, dass die Schlange mantischen Charakter hatte. Um Asklepios ist immer eine Atmosphäre von Mystik. Der Arzt hat bei allen Völkern ursprünglich etwas vom Zauberer, dem die Götter geheime Weisheit offenbaren. Es gehörte bis in die spätesten Zeiten des Altertums zum Asklepioskult, dass sich die Kranken im Bezirk des Heiligtums zum Schlaf niederlegten und dass ihnen durch den Traum das Heilmittel angegeben wurde. Die Priester des Asklepios hatten diese Träume auszudeuten. Asklepios kam also aus demselben Grunde, wie der delphische Apollo, mit der Schlange in Verbindung, nur in eine engere. Er erscheint geradezu in Schlangengestalt. Als Schlange wurde er von einer sikyonischen Frau von Epidauros nach Sikyon gebracht, als Schlange empfing auch die Stadt Rom den Gott. Noch in der aufgeklärten Zeit des 2. Jahrhunderts nach Chr. einer Zeit von ausgesprochenem Skeptizismus, glaubte dei ganze antike Welt, dass sich Asklepios in einer Schlange neu offenbart habe. Wir verdanken den Bericht darüber dem Satiriker Lucian. Er erzählt wie ein gewisser Alexander aus Abonuteichos, den er einfach für einen Betrüger erklärt, was er vielleicht nicht war, nach Pella wanderte, wo der Kult des Asklepios blühte, und dort eine wunderbar schöne Schlange fand, die er als Inkarnation des Gottes in seine Vaterstadt mitnahm. Er gab im Namen des Gottes Orakel und teilte Heilmittel mit, und seine Kuren und Wahrsagungen wurden bald so bekannt, dass ihm ungeheure Volksmassen und mit ihnen ungeheure Geldsummen zuströmten. Ein besonders gläubiger Mann holte ihn schliesslich nach Rom und es kam soweit, dass die Stadt Abonuteichos das Bild der heiligen Schlange auf ihren Münzen anbrachte.
Alexandros liess auch das Symbol der Verbindung der Schlange mit dem Ei erscheinen, das sich in syrischen Mysterienreligionen vorfindet, deren Götter ebenfalls häufig mit der Schlange in Verbindung erschienen. In diesen Kulturen war sie geradezu zum kosmischen Symbol geworden. Die durch die ganze Welt verbreitete Religion des persischen Mithras kennt sie gleichfalls. Und schliesslich schreibt der Kirchenvater Justin. " Bei jedem der unter euch gebräuchlichen Götter wird die Schlange als grosses Symbol und Mysterium angebracht." Aber ihr wichtigster Platz war der Stab, den Asklepios in der Hand hielt.
Nun scheint der Weg zur modernen Anwendung der Schlange als eines Symbols der medizinischen Wissenschaft sehr einfach. Es ist es aber nicht. Denn die Schlange als Symbol spielt jahrhundertelang keine Rolle mehr. Es ist bekannt, dass der Humanismus alle antiken Gottgestalten neu belebte. Sie finden sich seit dem 15. Jahrhundert in unendlicher Fülle wieder in der bildenden Kunst. Aber Äskulap erscheint nur selten unter ihnen. Von den bekannten Graphikern, Dürer, Holbein, Aldegrever, Stimmer, Binck oder Floris, wird Äskulap unter ihren antiken Göttergestalten entweder überhaupt nicht oder nur selten und dann beiläufig dargestellt. Äskulap gehörte weder zu den Planetengöttern, noch war die Medizin ins antike System der freien Künste aufgenommen. In diesem Zusammenhang fehlt also die Schlange fast immer. Sie fehlt sogar auf den Titelblättern der medizinischen Werke des Vesalius und meist auch auf denen anderer, obwohl man sich bei diesen Titelblättern an allegorischen Bildern gar nicht genug tun konnte. Aber die Schlange wird auf einem Umwege, der über die christliche Religion führt, wieder zu einem wichtigen und deutlichen Symbol. Zwar kannte das Christentum die Schlange schon in mancherlei Bedeutung.

envya.jpg (1090 Byte) Die Schlange als Symbol des Neides; 
Giotto, Padua, Capella degli Serovegni all´Arena

Da es in der Bibel hiess: "Sei klug wie die Schlangen", wurde sie zum Symbol der Prudentia, und ihre Rolle beim Sündenfall machte sie zum Tier alles Bösen schlechtweg. Aber es war eine andere biblische Bedeutung, von der ausgehend sie wieder zum Symbol der Heilung wurde.

       c12348.jpg (718 Byte) Dyonisius und Äskulap
Seitenleiste des Buchtitels der "Lucubrationes" des Bischofs Hilarius, 1523, Holzschnitt von H. Holbein d.J., Basel                          

Die Aufrichtung der ehernen Schlange ist im alten Testament ein Heilvorgang. Das Volk leidet unter einer Schlangenplage und Moses stellt auf Geheiss Gottes das Schlangenbild auf, damit das Volk zu ihm aufblicke und nicht sterbe. Dieser Vorgang, der im Zusammenhang der Mosesgeschichte sehr nebensächlich ist, wurde im Mittelalter ein höchst beliebtes Thema.

      c12349.jpg (1529 Byte)  Aufrichtung der ehernen Schlange;
14. Jahrhundert, Salzwwedel


Das Mittelalter hat den Hauptwert des Alten Testaments darin gesehen, das es das   neue vorher verkündet habe. Und so hat die Theologie des Mittelalters die Aufrichtung der heilbringenden ehernen Schlange immer als eine parallele zur Kreuzaufrichtung aufgefasst. Deshalb erscheint sie so besonders häufig in Plastik und Malerei, Glasfenstern, Wirkteppichen und Buchmalereien. Sie wird schliesslich zum reinen Attribut : an den französischen Kirchenportalen der Gotik erscheinen in langen Reihen diejenigen Gestalten des Alten Testamentes, die auf das neue vorbereitet haben. Unter ihnen ist Moses mit einer Säule, um die sich die eherne Schlange ringelt.
Um diesen Parallelgedanken kreiste auch die herrlichste Schöpfung der abendländischen kunst überhaupt, die Fresken Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle. Die berühmten Prophetengestalten sind dort angebracht als die Verkünder Christi an die Welt des Alten Testamentes. Und so erscheint hier auch die Aufrichtung der ehernen Schlange. Es ist von unbeschreiblicher Gewalt, wie über den gekrümmten Leibern der Leidenden beherrschend das Bild der ehernen Schlange steht. Und hier hat sie die Form, die wir kennen. In gleichmässigen Windungen legt sich der Leib der Schlange um den Stab.
Es ist nicht zu beweisen, von wo das Symbol in seiner heutigen Gestalt ausgegangen ist. Wahrscheinlich wurde ein antikes Symbol umstilisiert, vielleicht das, das sich an der Tiberinsel in Rom eingemeisselt findet. Aber es ist auch nicht ausgeschlossen, dass die heutige Form des Symbols auf Michelangelo zurückzuführen ist, denn seine Bilder waren grenzenlos populär. Sie sind unzählige Male nachgezeichnet worden und waren allen Malern genau bekannt.
Das Bedürfnis nach einem medizoinischen Symbol war offenbar dringend in der zeit des 18. Jahrhunderts, als das Griechentum und seine Symbole überhaupt poulär wurden. Aber die Griechen hatten der Äskulapschlange eine lebensvolle Form gegeben, bei ihnen windet sich die Schlange mit energischen, ganz naturhaften Krümmungen um den Stab. Die Abstraktheit, die zum Wesen des Symbols gehört, bevorzugte schliesslich aber die strengere Form.

(Kurt Paulus 2.4.99)

 

 

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