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Eröffnung der Ausstellung
"150 Jahre Carl Zeiss"

am 12.4.96, K127.P im Foyer


von Kurt Paulus

Als der Kaiser in den Spiegel starrte, wurde sein Gesicht erst ein blutig roter Flecken und dann ein Totenschädel, von dem Schleim herabtropfte. Der Kaiser wandte sein Gesicht entsetzt ab. "Eure Hoheit", sagte Shenkua, "wendet Euer Gesicht nicht ab. Ihr habt nur den Anfang und das Ende Eures Lebens gesehen. Schaut weiter in den Spiegel und Ihr werdet alles sehen, was ist und was sein kann. Und wenn Ihr den höchsten Grad des Entzückens erreicht habt, wird Euch der Spiegel selbst solche Dinge zeigen, die nicht existieren können..."
Chin Nung, "Alles über Spiegel"

"Die glücklichsten Momente in der Geschichte des Wissens treten dann auf, wenn Tatsachen, die bisher nur spezielle Daten waren, sich scheinbar ganz entfernt liegenden Tatsachen verbinden und so in neuem Licht erscheinen." Was diese Formulierung Wolfgang Köhlers als allgemeines Prinzip zu fassen sucht, läßt sich im Einzelfall ausnehmend gut an der Entwicklung der Mikroskopie demonstrieren: Vor fast 400 Jahren hatte die Astronomie und mit ihr die Astrologie sozusagen eine Hochkonjunktur. Im Jahr 1608 beantragte der holländische Brillenmacher Hans Lipperhey ein Patent für ein Fernrohr. Schon 1609 baute auch Galileo Galilei ein Fernrohr nach diesem Vorbild und bewies dem Dogen von Venedig, dass er mit diesem Hilfsmittel feindliche Schiffe früher als mit bloßem Auge erkennen konnte. Vielleicht hat irgend jemand in dieser Zeit das Fernrohr einmal umgedreht ,aus irgendeinem Grund den Linsenabstand verändert, und so das Mikroskop entdeckt. Aber das Interesse an der Mikrowelt hielt sich lange in Grenzen, das Geschick der Menschen lag in den Sternen.
Erst allmählich wurde man neugierig auf die Wunderwelt im Wassertropfen und 1683 entdeckte Antony van Leeuwenhoek die Bakterien. Man baute "einfache" Mikroskope mit einer einzigen kleinen Linse und zusammengesetzte Mikroskope mit Objektiv und Okular.
Bei beiden Typen störten Abbildungsfehler die Beobachtungen beträchtlich. Die achromatischen Mikroskope von Hermann van Deijl und anderer Instrumentenbauer waren ein erster Schritt zu den großen mikroskopischen Entdeckungen des 19. Und 20. Jahrhunderts.
Aber bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein, wurden einigermaßen gute Geräte nur durch "Pröbeln" (so der offizielle Begriff der Mikroskophersteller) hergestellt. Dem Zufall war Tür und Tor geöffnet, ein theoretisches Fundament war nicht vorhanden.
Hier ist festzuhalten, daß das 19. Jahrhundert, mag es auch alle Vorbedingungen unseres heutigen technischen Zeitalters geschaffen haben, trotz Dampfkraft, Elektrizität, Hochofen und Dynamit selber noch keineswegs eine von der Technik bestimmte Epoche war.
Physiker und Ingenieure gewannen zunehmend an Ansehen, aber "der Gelehrte" war noch immer der Historiker, der Philologe, der Philosoph. Gefeiert als privilegierter Stand war neben dem Gelehrten der Künstler, ja, dieser wurde geradezu idolisiert und rangierte vor allem in der Literatur an erster Stelle: von einem Meister wie Goethe bis zu den Erzeugnissen der Marlitt.
Hinzutraten der Großkaufmann, der Unternehmer, der Fabrikant.
Der umwerfende Ausspruch einer Bremer Unternehmersgattin zu ihrem Sohn, der Chemie studieren wollte, fällt sogar noch in unser 20. Jahrhundert : "Chemiker wird man nicht, Chemiker hält man sich."
Ähnlich Köhler hat Arthur Köstler behauptet, aller Fortschritt in Kunst und Wissenschaft sei durch "Bisoziation" zu erklären, das heißt durch ein Zusammentreten zweier völlig verschiedener Bereiche zu einer neuen Pointe.
Mögen hinsichtlich der Allgemeingültigkeit dieser These Zweifel aufkommen - für die Mikroskopie hat jedenfalls im Jahre 1866 ein solcher "Heureka-Effekt" durch das Zusammentreffen des Mikroskopherstellers Carl Zeiss mit dem Studenten der Physik Ernst Abbe stattgefunden.
Es war das Verdienst von Carl Zeiss, die Bedeutung des fehlenden theoretischen Fundaments bei der Herstellung hochwertiger Optiken erkannt und die Abbeschen Untersuchungen angeregt und finanziert zu haben - auch dann, als keiner mehr an Abbe glaubte und die kleine Jenaer Firma fast in den Ruin schlitterte.
Abbes Arbeiten erwiesen sich aber letztlich als der Schlüssel zum Fortschritt: 1872 entwickelte er die ersten Ölimmersionsobjektive und Apochromate und seine Auflösungsformel wies der Mikroskopie kurzer Wellenlängen, der UV- und Fluoreszenzmikroskopie, den Weg.
Die Preisliste No. 19 aus dem Jahre 1872 der Fa. Carl Zeiss, Jena gibt der wissenschaftlichen Welt die umwälzende Neuerung auf optischem Gebiet mit den schlichten Worten bekannt : "Die hier aufgeführten Mikroskope sind sämtlich neuerdings auf Grund theoretischer Berechnungen des Herrn Professors Abbe in Jena konstruiert."
Fundamental für viele optische Instrumente waren die Sinusbedingung (Korrekturforderung für Objektive mit hoher Apertur) und das Kompartorprinzip das Abbe als erster formulierte. Seine Theorien spielten eine zentrale Rolle beim Phasenkontrastverfahren nach Frits Zernike.
Das erste Fluoreseszenzmikroskop wurde 1911 von Reichert vorgestellt. Durch die Berechnungen Abbes und deren konsequente Umsetzung in die Herstellung, wollte plötzlich alle Welt nur noch Zeiss Mikroskope und Firmen wie Ernst Leitz, Wetzlar standen kurz vor dem Ruin. Aber, und das muss man sich gerade heute, wo Patente immer wichtiger werden einmal vorstellen: Abbe verzichtete auf die Patentierung seiner Arbeit und gestand ausdrücklich allen andern Herstellern das Recht zu, seine Erkenntnisse frei zu verwerten. Heute würde man in einer ähnlichen Situation die Fa. Leitz für wenig Geld aufkaufen!
Abbe - ein ganz Grosser!
Nicht nur seine wissenschaftlichen Leistungen machte Geschichte. Auch als Sozialreformer war er seiner Zeit weit voraus. 1889, nach dem Tode von Carl Zeiss gründete er die "Carl-Zeiss-Stiftung", die er 1891 zur Alleineigentümerin des Zeiss-Werks und, mit Zustimmung von Otto Schott, zur Teilhaberin des Jenaer-Glaswerks machte.
Es würde den Rahmen meiner Rede sprengen, wollte ich auf Details der Stiftungsstatute eingehen. Nur soviel sei gesagt : sie garantierte in in bis dahin unbekanntem Masse die persönlichen Rechte der Mitarbeiter innerhalb des Betriebs und verbesserte ihre soziale Situation, auch nach dem Ausscheiden, durchgreifend. Bei den Mitarbeitern ist auch heute noch eine sehr ausgeprägte Identifikation mit dem Namen Carl Zeiss zu erkennen- man spricht von Zeissianern. ähnlich wie bei Ciba von den Cibanern, aber lassen wir das - No wart i´s ab. (SchweizerdeutscheAnspielung auf die bevorstehende Fusion von Ciba-Geigy und Sandoz zu NOVARTIS d.A.)
Ganz kann ich mich der oben zitierten Theorie der "Bisoziation" Arthur Köstlers im Falle Abbe - Zeiss doch nicht anschliessen - sie reicht nicht aus. Es fehlte der Dritte im Bunde, das Tüpfli auf dem i - Otto Schott (1851-1935). Schott hat in systematischer Arbeit die Abhängigkeit der optischen Eigenschaften der Gläser von ihrer Zusammensetzung erforscht und es war ein echter historischer Glücksfall, als er 1879 die Zusammenarbeit mit Abbe suchte und fand.
Schott gilt als Begründer der modernen Glastechnologie. Erwähnt seien nur das chemisch und thermisch widerstandsfähige Borosilikatglas und die Gläser mit fein abgestuften optischen Konstanten - das erste Mikroskop mit apochromatischen Objektiven war die Grundlage der modernen farbtreuen Optiken.
Diese Ausstellung zur 150jährigen Firmengeschichte der Carl Zeiss Werke deren Schwerpunkt zugegebenermassen auf der mikroskopischen Seite liegt, obwohl die Entwicklungen von Carl Zeiss die gesamte Palette der Optik umspannt, wäre ohne die komplette Mikroskopsammlung von Herrn Peter Dreja, von Geburt an Zeissianer, nicht möglich gewesen. Diese Schätze wurden zum erstenmal einem breiteren Publikum zugänglich gemacht und - Peter, ich danke Dir für das Vertrauen das Du in mich gesetzt hast! Danken möchte ich auch allen, die mir geholfen haben, diese Ausstellung zu realisieren. Das reicht vom Optischen Museum in Oberkochen über die Kunst der Feinmechaniker in unserem Haus um Herrn Jordi, bis zu den wunderbaren Flussspathkristallen von der Oltschenalp, die ich mit Unterstützung von Dr.Andreas Burkhard, zu treuen Händen von Prof. Graeser und Herrn Dr. Arnoth vom Naturhistorischen Museum Basel erhalten habe, bis hin zur Unterstützung durch die Gebäudeverwaltung und last, but not least meinen Kollegen und Vorgesetzten.
Hinweisen möchte ich noch extra auf die ausgelegte, lesenswerte Story von Abbe und den Strahlern von der Oltschenalp und die ausgestellten originalen, für Abbe gesuchten Flussspathkristalle.

Liebe Gäste, ich möchte mich nochmals für Ihr Erscheinen bedanken. Alle Anwesenden arbeiten in irgendeinem Bezug zur 150 jährigen Innovation von Carl Zeiss, Otto Schott und Ernst Abbe - heben wir darauf unser Glas.






12.9.96 Kurt Paulus