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Alte illustrierte Bücher der Medizin

Ciba-Zeitschrift Sep.1934

Bearbeiteter Inhalt:

1. Die Erfindung des Buchdrucks und die Medizin

2. Die Entwicklung der älteren medizinischen Illustrationskunst

3. Berühmte medizinische Elzeviere

4. Von illustrierten ärztlichen Handbüchern der Antike und des Mittelalters

Die Erfindung des Buchdrucks und die Medizin

Von Dr. med. L. Glaisse

Wenn irgend ein Ereignis von allgemein kulturgeschichtlicher Bedeutung einen Einfluss auf die Entwicklung der medizinischen Wissenschaft ausgeübt hat, so gilt dies von der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg.
Renaissance, Humanismus und Reformation, diese drei grossen, kulturgeschichtlich ganz hervorragend wichtigen Momente, treten in ihrer Bedeutung hinter der Erfindung der „schwarzen Kunst" weit zurück, die einer der wichtigsten Marksteine in der gesamten Kulturgeschichte der Menschheit geworden ist.
Es ist schwer, heute nach fast fünf Jahrhunderten ein richtiges Bild der fundamentalen Umwälzung, die durch diese Erfindung auf allen Gebieten des geistigen Lebens hervorgerufen wurde, zu gewinnen. Es brach plötzlich eine neue Zeit an, eine Zeit ungeheuerlichen Fortschrittes auf allen Gebieten des Wissens und der schönen Literatur. Das gedruckte Buch, textlich weitaus zuverlässiger als die wohl mit grösster Mühe angefertigte, aber oft von Fehlern wimmelnde Handschrift, eroberte im Fluge die Welt und konnte infolge der Einfachheit seiner Anfertigung in kürzester Zeit in Kreise dringen, in denen bisher die Anschaffung einer Handschrift als unerreichbarer Luxus galt. Alte Werke erschienen in zahlreichen Ausgaben, zeitgenössische Dichter, Schriftsteller und Forscher sahen in Gutenbergs Erfindung ein lange ersehntes und unvergleichliches Mittel, ihre Werke zu verbreiten, - es war eine Zeit nie vorher dagewesener Tätigkeit auf allen Gebieten der Literatur.
Dieser fruchtbare Einfluss machte sich auch in der Medizin geltend. Betrachten wir den Fortschritt der medizinischen Wissenschaft vom Standpunkt des allgemeinen Kulturfortschrittes, so können wir den Beginn der Neuzeit in unserer Wissenschaft ebenfalls mit jenem Datum bezeichnen, das im allgemeinen als der Beginn der Neuzeit gilt. Mittelalterliche Scholastik, Mystik und Aberglaube waren überwunden, vorurteilsfreie Geister wiesen jetzt neue Wege, die grossen medizinischen Klassiker der Antike kamen wieder zur Geltung und die bisher im Abendland wenig bekannten Lehren der grossen Araber wurden mit einem Schlage auch den abendländischen Ärzten zugänglich.

Das erste gedruckte medizinische Werk war ein Aderlass- und Laxierkalender für das Jahr 1457, - eine populär-medizinische Schrift, in der die für Aderlass und Laxieren günstigsten Tage des Jahres bezeichnet waren. Dieser Kalender, der mit den Typen der vor kurzem fertiggestellten 36 zeiligen Bibel in Mainz gedruckt wurde, ist zugleich eines der äItesten Druckwerke überhaupt. Solche Kalender, die auch in den folgenden Jahren hergestellt wurden, sind heute bibliographische Raritäten von höchstem Wert.
Diesen populär-medizinischen Druckwerken folgten bald auch wissenschaftliche Werke, - zunächst die Werke der medizinischen Klassiker. Im Jahre 1469 erscheint Plinius „Historia naturalis", das erste datierte medizinisch-naturwissenschaftliche Werk. Bald folgen die Werke der arabischen Klassiker Mesué, Abulkasim, Rhazes und Avicenna und im Jahre 1472 das erste Werk eines lebenden Autors: die „Practica" des Matteo Ferrari. Im selben Jahre erscheint der Conciliator" des Petrus de Abano, Taddeo Alderottis „Regimen sanitatis", die Kinderheilkunde des Paolo Bagellardi und nebst einer Anzahl anderer Werke die zweite Ausgabe der Naturgeschichte des Plinius. Im darauffolgenden Jahre nimmt die Zahl der gedruckten medizinischen Werke bedeutend zu. Avicennas Canon" erscheint in zweiter Ausgabe, desgleichen Mesues Werke, - von bekannten Werken erscheinen Metlingers Regiment der jungen Kinder", Mesues Antidotarium", Serapions Simplicia", verschiedene Werke des Petrus de Abano, Simon Genuensis, Jacobus Forliviensis, Gentile da Foligno und anderer.
So w
ächst die Zahl der gedruckten medizinischen Werke von Jahr zu Jahr, in rascher Folge erscheinen Neuauflagen schon gedruckter Werke und bis zum Ende des 15.Jahrhunderts hat die medizinische Literatur bereits einen ansehnlichen Umfang erreicht. Wenn auch hie und da noch der Geist mittelalterlicher Scholastik aus manchem gedruckten Werk sprach, so schien doch das Licht der Neuzeit den Weg des Fortschrittes zu weisen.
Mit der Entwicklung der Drucktechnik werden die B
ücher immer vollkommener. Besonderer Wert wird auf die Abbildungen gelegt, und es sind vorzugsweise naturwissenschaftliche und medizinische Werke, die alle Entwicklungsstufen der Illustrationskunst, von den primitivsten Anfängen bis zu künstlerischen Meisterwerken, aufweisen. Während anfangs ausschliesslich der Holzschnitt zu Illustrationszwecken dient, tritt bereits im 16. Jahrhundert der Kupferstich teilweise an seine Stelle. Die Abbildung wird schärfer und präziser und somit wächst auch ihr wissenschaftlicher Wert. Grosse anatomische, botanische und zoologische Prachtwerke aus jener Zeit besitzen zugleich künstlerischen und wissenschaftlichen Wert.
Schon aus dieser kurzen nicht im entferntesten
vollständigen Übersicht ist der gewaltige Einfluss der Buchdruckerkunst auf die Entwicklung der medizinischen Wissenschaft deutlich zu ersehen. Gar mancher Streit, der sich um wissenschaftliche Fragen bewegte, wurde mit Hilfe des Buchdrucks heraufbeschworen und mit Druckwerken ausgefochten und manche grosse Idee fand ihre Verbreitung auf dem Wege des Buchdrucks, dessen vornehmliches Verdienst es ist, zum Austausch wissenschaftlicher Meinungen verholfen und gleichsam als grosse Triebfeder in die bis dahin unbewegliche Wissenschaft Bewegung und Leben gebracht zu haben.

 

Die Entwicklung der älteren medizinischen Illustrationskunst

Von Dr. C. W. Turner

Wer sich eindringlich mit dem Studium medizinischer Abbildungswerke befasst, sei es als Arzt oder als Kunstforscher, wird sehr bald die Beobachtung machen, dass keine Illustration ganz sachlich ist, nicht einmal die auf mechanischem Wege hergestellten unserer Zeit. Immer schimmert die persönliche Auffassung des Zeichners oder des Photographen durch und bildet eine stete Crux für Verfasser und Verleger. Und ausserdem macht sich, besonders in den älteren Werken, das Formgefühl der Zeit, der Zeitstil geltend. Er beeinflusste selbst noch das fortschrittlichste Werk, weil seine Wirkung dem Künstler selbst nicht bewusst wird. Er stellte eine ebenso schwere Hemmung für die objektive Darstellung des Befundes und damit für die Entwicklung des medizinischen Lehrbuchs dar, wie die religiösen Verbote, Leichen zu zergliedern, hinderlich für die Entwicklung der Medizin als solcher waren.

Das ist der besondere Reiz beim Durchblättern älterer medizinischer Werke, dass sie Dokumente der Medizin, der Kulturgeschichte und der Kunst zugleich sind. Die Geschichte der medizinischen Illustration ist eine besonders interessante Hilfswissenschaft der Geschichte der Heilkunde. Sie zeigt ein beständiges Ringen des ärztlichen Forschers gegen die Unzulänglichkeit der Illustratoren, deren er sich notgedrungen bedienen muss, und die eben die Auffassung der Mitbürger repräsentieren, gegen die er ankämpft. Und es ist ein ausserordentliches Vergnügen, zu beobachten, wie die Holzschneider zu diesen Aufgaben erzogen wurden und sich allmählich ein medizinischer Zweig der Kunst und eine künstlerische Seite in der Medizin entwickelte.
Es war ein langer und sehr mühevoller Weg. Das Mittelalter hat bis ins 15. Jahrhundert hinein, also bis in eine ziemlich junge Zeit, medizinische Abbildungen in unserem Sinne überhaupt nicht gekannt. Es überlieferte die antike Medizin. Dogmatisch, wie es seiner Natur nach war, ohne Interesse für eigentliche Forschung, die der Zeit als irreligiöser Frevel erschienen wäre, sind die Abbildungen in seinen medizinischen Handschriften blosser Schmuck. Sie wollen nicht unterrichten, sondern deuten nur an, wovon im nächsten Kapitel die Rede ist. Häufig wird das Bild geradezu mit dem Initial verschmolzen, ist also ganz ohne selbsttändigen Wert. Aus den Initialien einer französisch-flämischen Handschrift des 13. Jahrhunderts war nichts zu lernen, weder für die Ohrbehandlung noch für die Anatomie des Körpers. Die letztere war aus religiösen Gründen geradezu verpönt.

An den Werken vom Ende des 15. Jahrhunderts und dem Anfang des 16. Jahrhunderts lässt sich dann verfolgen, wie sich allmählich ein ernsterer Begriff von Medizin herausbildet. Dem Bedürfnis nach populärer Aufklärung, das gerade auf hygienischem Gebiete in dieser Pestzeit besonders rege war, kommt die Erfindung der Buchdruckkunst entgegen, die eine wahre Flut medizinischer Traktate hervorruft. Es gibt auf der Wende des Jahrhunderts gerade im deutschen Sprachgebiet sehr interessante Autoren. So Hieronymus Braunschweig, dessen Tätigkeit sich etwa von 1468-1534 verfolgen lässt. Er schrieb eine „Chirurgia", eine „Apotek für den gemeinen Mann", ein „Liber Pestilentialis" und manches andere.
Das interessanteste dieser Bücher ist die „Chirurgia". Ihre Holzschnitte rühren deutlich von einem Künstler aus dem Kreis des Wohlgemut her. Sie sind meist sehr allgemeiner Natur. Der Arzt am Krankenbett ist das bevorzugte Thema, und der selbe Holzschnitt wird mehrmals an verschiedenen Stellen des Buches und bei verschiedenen Krankheiten abgedruckt, damit das Büchlein recht bunt und lustig aussah. Es kommt sogar vor, allerdings häufiger in anderen Büchern des Braunschweig, dass Holzschnitte zerschnitten und in ihren einzelnen Bestandteilen anders zusammengesetzt werden, um neue Illustrationen billig herzustellen, wobei dann Grössenverhältnisse und Perspektiven in der Regel nicht zueinander passen. Zwei Illustrationen aus der Chirurgia sind besonders interessant. Die eine ist die Abbildung der ärztlichen Instrumente. Gerade hier wird die Herrschaft des Zeitstils deutlich, der Geschmack an spitzen, eckigen, gezackten Formen und an der Häufung und Überschneidung. Als wichtigstes Instrument gilt noch das Scheermesser. Dann die Abbildung zum 2. Kapitel des 5. Traktats. Es ist die einzig wirklich originelle zwischen lauter Gemeinplätzen. Sie stellt dar, wie man eine schlecht geheilte Fraktur neu brechen muss, und es wirft ein sehr deutliches Licht auf die chirurgischen Zustände der Zeit, dass gerade dieser Fall dem Verfasser besonders interessant ist und dass er für ihn eine eigene Behandlungsmethode erfunden hat.
Auch die neuen Verwundungen dieser Zeit, die durch Schusswaffen, haben sein Interesse erregt. Es ist überhaupt interessant, wie langsam sich die Begriffe geklärt haben. Von D. Johannes Dryander haben wir Populäres und Wissenschaftliches nebeneinander. Ganz populär ist sein „Practicierbüchlin Auserlesener Artzeneystuck". Es enthält neben der Abbildung des Arztes in Barett und Mantel als Heiler am Krankenbett so überflüssige Dinge, wie das Bild eines runden Bisamapfels zum Thema Vergiftung der Luft, oder, wo von Getränken die Rede ist, das Bild verschiedener Pokale, das nur kunstgewerbliches Interesse hat. Am wichtigsten scheint eine Abbildung des Unterkiefers und der Instrumente zur Behandlung von „Zanwehthumb", die schon viel besser aussehen als bei Braunschweig. Dann aber gibt es von Dryander eine Anatomie, die eines der besten Werke ihrer Zeit ist. Sie beschränkt sich zwar fast ausschliesslich auf den Kopf und kommt auch insofern nicht von der Tradition los, als sie noch die Schweinsanatornie enthält, die aus einer Zeit stammt, in der man aus Mangel an anatomischem Material Schweine zergliederte. Aber diese Holzschnitte sind die eindrucksvollsten in der zeitgenössischen Medizin. Sie sind signiert, V B G mit einem Zirkel und der Jahreszahl 1536, und wir wüssten sehr gern, wer der begabte Mann aus dem Kreise des Hans Baldung war, der sie gearbeitet hat. Es sind Abbildungen von Überraschender Grosszügigkeit, die zugleich sicher eine so vollkommene Treue beabsichtigen, wie sie der Zeit irgend erreichbar war (s. Abb.). Ganz glückt sie nicht. Die Schädelnähte sind ganz ornamental und die Hautzipfel hängen wie Tücher herunter. Und ausserdem trägt der Künstler Gefühlsmomente aus seiner Tradition in das Werk. Seine Schädelabbildungen sind zugleich noch Allegorien der Vergänglichkeit, sind mit der Sanduhr verbunden und stehen auf Sockeln, die warnende Devisen auf einen nahen Tod tragen. Andere Köpfe tragen den Ausdruck des Todesleides. Kurz, der Gedanke des Totentanzes ist in der sachlichen Sphäre der Medizin noch nicht ganz geschwunden. Aber an Bedeutung kommen diesen Abbildungen nur die nahe, mit denen Hans von Gersdorf sein bekanntes „Feldtbuch der wundtartzney" 1517 ausgestattet hat. Die beiden Meister stehen sich so nahe, dass man geradezu vermuten möchte, sie seien identisch, und Dryander hätte sich eines Mannes bedient, den Gersdorf zuerst für seine Zwecke geschult hätte.
Den richtigen Abstand zu diesen Werken bekommt man aber erst, wenn man sich vergegenwärtigt, dass beide in die Lebenszeit, und Dryanders Werk sogar schon in die Wirkungszeit des Vesalius fallen. Was bis dahin Zufall, gelegentliche Erfahrung war oder höchstens auf einem sehr engen Gebiete gesammelt wurde, dessen Grenzen von der Religion gezogen waren, wird bei Vesalius zum ersten Male systematische Forschung. Und dabei sind die deutschen Illustrationen unvergleichlich viel systematischer und besser und haben viel mehr Gefühl für das, worauf es ankommt, als etwa die italienischen des 15. Jahrhunderts. Die Anatomie des Carpus von 153 5 war mit ganz groben Holzschnitten teilnahmslos illustriert. Sie gaben gerade das gar nicht, was die deutschen Arbeiten so bedeutend macht, den Unterschied in der Struktur von Haut, Knochen und Muskel. Auch im Text steht bei Carpus einem Übermass von sexuellem Interesse ein sehr geringes Mass eigener anatomischer Erfahrung gegenüber.
Dagegen dringen die Hunderte von Holzschnitten, mit denen Vesalius sein Werk illustrierte, in alle Einzelheiten, jeden kleinsten anatomischen Teil des menschlichen Körpers ein. Künstlerisch sind sie wahre Meisterwerke. Nur ein Anatom von höchster Gewissenhaftigkeit konnte sich die Brüsseler Holzschneider des 16. Jahrhunderts, die bis dahin nur biblische Illustrationen zu schneiden gehabt hatten, so erziehen. Höchst geschmeidig folgt das Messer des Holzschneiders den unendlich subtilen Weisungen des Anatomen. Man darf nicht übersehen, dass der Holzschnitt an sich eine derbe Technik ist. Der Holzschneider muss die Linien im Druckstock ziemlich breit stehen lassen, wenn sie nicht ausbrechen sollen. Andererseits muss man sich auch darüber klar sein, dass ohne diese Erziehung durch Vesalius die Brüsseler Holzschnitte nach den Zeichnungen des Rubens so wenig denkbar sind, wie seine gänzenden anatomischen Kenntnisse ohne Vesalius selbst. Beide lebten in Brüssel, Rubens ein halbes Jahrhundert nach Vesalius. Gerade hier wird deutlich, dass Medizin und Kunst in einem sehr innigen Verhältnis von Nehmen und Geben stehen können. Dabei darf nicht übersehen werden, dass auch im Werk des Vesalius der Zeitgeschmack seine Opfer fordert. Neben der nordischen Exaktheit des Forschers steht die italienische betont elegante Form ziemlich unvermittelt. Es ist noch nicht möglich, dass alle Abbildungen so exakt sind wie Präparate. Die Skelette sind noch Knochenmänner im Sinne der Totentänze, die 100 Jahre vor Vesalius so in Mode waren. Einer von ihnen stützt sich auf ein Grabscheit, trauervoll seine Arbeit als Totengräber unterbrechend, ein anderer ringt seine Knochenhände über dem Grab, ein dritter betrachtet nachdenklich einen Schädel (Umschlagsbild). Einen sehr seltsamen, fast grauenhaften Ausdruck furchtbaren Leidens tragen die Gestalten, die tiefer anatomisiert sind. Man weiss übrigens, dass Vesalius den Richtern oft besondere Todesarten für Hinzurichtende vorzuschlagen pflegte, wie sie ihm für seine Studienzwecke am geeignetsten zu sein schienen. Etwas von dem Grauen solcher wissenschaftlichen Unbarmherzigkeit klingt in dem Todesgrauen dieser Gestalten nach.
Wie genial Vesalius tatsächlich war, wird erst deutlich, wenn man diese Illustrationen mit den Werken eines sehr berühmten Zeitgenossen vergleicht, des Ambroire Paré in Paris. Ursprünglich Barbier-Chirurg hatte er in einer Reihe von Feldzügen ausserordentliche praktische Erfahrungen gesammelt. Auf diesem Gebiete war er wirklich genial, Erfinder einer Schielbrille und einer Menge chirurgischer Instrumente und Verbesserer der Technik künstlicher Gliedmassen. Erfahrungen neuerer Feldzüge drängen sich auf, wenn man liest, wie ihm einmal das Öl ausging, sodass er die Wunden nicht schulgerecht kauterisieren konnte, sondern sie einfach verband - und wie er dann nach einer schlaflosen Nacht fand, dass diese Wunden viel besser geheilt waren als alle anderen. Denn das Kauterisieren war ein Dogma der älteren Wundmedizin. Vielleicht noch interessanter vom modernen Standpunkt aus ist sein Kampf gegen Portenta und Monstra in der Medizin, gegen den Glauben an die Heilkraft von Einhörnern und Mumienteilen. Dabei hält gerade dieser Glaube sich bis weit ins 18. Jahrhundert hinein, und auf Schlachtfeldern pflegte man die Genitalien der Erschlagenen auszuschneiden und zu Mumia zu verarbeiten. Aber Paré verfügte auch über ein grosses theoretisches Wissen. Er hatte eine ungemein umfassende Bildung. Blättert man seine riesigen Folianten durch, so wird klar, wie vielseitig er war. Die Abbildungen chirurgischer Werkzeuge sind ganz ausgezeichnet, und die Grazie der zeitgenössischen französischen Kunst hat ihnen eine gallische Schlankheit gegeben, die im Vergleich zu den älteren Abbildungen etwas sehr Modernes hat (s. Abb.). Sie müssen sich ausgezeichnet gefasst und gehandhabt haben. Natürlich fehlt es auch ihnen nicht an ornamentalem Beiwerk, aber es hat einen sehr bescheidenen und verständigen Platz gefunden. Seine Methoden der Streckung sind z.T. noch aus des alten Gersdorf „tüchtigem Feldtartzneybuch" entwickelt. Seine Muskelmänner sind wenig charaktervoll, anatomische Details übernimmt er oft einfach aus dem Vesalius. Irgendwie muss er auch den Hippokrateskommentar des Apollonius von Kitium in die Hand bekommen haben, dessen Abbildungen er, in die Tracht der Zeit gekleidet, seinem Publikum wieder vorsetzt . Sogar das missverstandene Einrenken über einem Türflügel fehlt nicht. Das Werk war in der französischen Renaissance bekannt.
Guido Guidi, der Leibarzt Franz Il., kannte es, und es gab in Fontainebleau eine illustrierte Kopie der Florentiner Handschrift (Nr. 2247 der Bibliotheque Nationale in Paris). Dieser gelehrte Mann wurde von dem medizinischen Kollegium in Paris, das sich nach dem heiligen Kosmas nannte (Collège de St. Côme) nur mit Widerstreben aufgenommen, weil er ursprünglich Barbier gewesen war und über eine lateinische These nicht zu disputieren vermochte. Er hat allerdings manches von einem Kompilator, aber es ist sicher, dass die Pariser gelehrten Ärzte es viel mehr waren als er. Um so stolzer nennt er sich auf den Titelblättern seiner Schriften, den pompösesten der Zeit: „Chirurgien ordinaire du Roy et Juré de Paris."

Die nächsten Jahrhunderte bringen einen entschiedenen Wandel in der medizinischen Illustration, den Übergang vom Holzschnitt zum Kupferstich. Der Kupferstich hat enorme Vorzüge. Seine Strichlagen, in hartes Metall gegraben, sind viel zarter und dünner als die Zeichnungen im Holzschnitt. Er vermag alle Feinheiten der Modellierung und der Struktur, der Gewebe und der Aderung, Poren und Mark, Häute und Haare, wirklich mit der letzten Feinheit wiederzugeben. Aber er hat für die medizinische Illustration zwei schwere Nachteile: Da die dünne Kupfertafel sich nicht, wie die dicke Holztafel, einfach in den Letternsatz einfügen lässt, muss sie gesondert eingeheftet werden, und es ist schwer, sie immer mit dem Text so in Korrespondenz zu halten, dass der Leser immer die Anschauung vor Augen hat. Gerade dieses Problem hatte Vesalius mit seinen Holzschnitten ideal gelöst. Und ausserdem ist das Material und die subtile Arbeit viel kostspieliger. So finden sich denn gewöhnlich nur einzelne Kupfertafeln eingeheftet. In Harveys berühmtem kleinen Werk über den Blutkreislauf sind es nur zwei, die den Armpuls zeigen. Allerdings war Vesalius so gründlich gewesen, dass man auf lange Zeit hinaus nach seinen Werken arbeiten konnte.
In diesem Zusammenhange fällt auf, dass sich die Medizin äusserst selten der Radierung bedient hat. Die Radierung besitzt nicht die Exaktheit, wie der Holzschnitt oder der Kupferstich. Da der Griffel nicht direkt in die Platte arbeitet, sondern in eine deckende Schicht, und die Zeichnung durch Ätzsäure hervorgerufen wird, die die vom Griffel blossgelegten Linien anfrisst, ist die Arbeit des Radierers nicht in allen Phasen genau kontrollierbar. Die Radierung war eine zu malerische Technik, um dem Arzt zuzusagen. Es ehrt ihn, dass er trotz ihrer Beliebtheit auf sie verzichtete.
Ein Muster der exakten anatomischen Zeichnung in den Atlanten des 19. Jahrhunderts sind die Kupferstiche der „Caldani'schen Icones anatomicae" (s. Abb.), denen so viele andere Werke nachfolgten. Sie geben alle Details und ersetzen dem Studenten tatsächlich für schnelles Nachschlagen die Anatomie. Der Vergleich solcher Tafeln mit den Abbildungen des Vesalius zeigt, welch ungeheure Fortschritte die medizinische Kleinarbeit des 18. Jahrhunderts herbeigeführt hatte, und wie gross die Vorzüge des Kupferstichs vor dem Holzschnitt waren.
Aber sie geben wieder die Lehre, den Anteil der ausführenden Hand, des Künstlers, nicht zu unterschätzen. Er ist eben doch eine eigene Persönlichkeit. Und mag er sich noch so entsagungsvoll in den Dienst der medizinischen Aufgabe stellen, sein eigenes Gefühl wird doch immer durchschimmern. Man muss den Stil und die Darstellungsweise des Künstlers in den älteren Werken subtrahieren, wenn man ein richtiges Urteil über die medizinischen Kenntnisse des Zeitalters haben will.

 

Berühmte medizinische Elzeviere

Druckwerke aus der berühmten "Officina Elzevirorum" gehören noch heute für jeden Bibliophilen zu den gesuchtesten Büchern. Die Erzeugnisse dieser durch Ludwig Elzevier (1540-1617) begründeten Buchdruckerfamilie erreichten unter seinen Söhnen und Enkeln einen hohen Grad von Vollkommenheit und unter den mehr als 2000 Werken, die aus dieser berühmten Offizin hervorgegangen sind, gibt es eine grosse Anzahl der wertvollsten literarischen Schöpfungen.
Unter den zahlreichen medizinischen Elzevieren sei an erster Stelle die weltberühmte Hippokrates-Ausgabe erwähnt, die im Jahre 1665 in Leiden gedruckt wurde und die sich durch hervorragende Schönheit auszeichnet. Zu erwähnen ist auch eine Amsterdamer Ausgabe der "Coacae praenotationes" aus dem Jahre 1660, die heute sehr selten ist und die sich ebenfalls durch schönen Druck auszeichnet, ferner eine griechisch-lateinische Ausgabe der Aphorismen aus dem Jahre 1628 (Leiden).
Auch die Elzeviersche Celsus-Ausgabe (Leiden, 1657), die heute zu den Seltenheiten zähIt, verdient unter diesen berühmten Werken erwähnt zu werden, ebenso die dreibändige Ausgabe von Plinius' "Historia naturalis", mit dem schönen gestochenen Titelblatt, die im Jahre 1635 zu Leiden gedruckt wurde.
Ausserordentlich wertvoll ist eine im Jahre 1651 zu Amsterdam gedruckte Ausgabe von Harveys "Exercitationes de generatione animalium", die zweite Ausgabe dieses berühmten Werkes. Wie die meisten Elzeviere trägt auch dieses Werk eine Druckermarke mit dem Bildnis der Minerva und der Aufschrift: "Ne extra oleas".
Durch sehr schönen Druck zeichnen sich die einzelnen Ausgaben von Tulpius' "Observationes medicae" aus, die ausserdem mit zahlreichen schönen Bildern geschmückt sind. Schöne Kupferstiche enthält auch die Ausgabe des "Museum Wormianum" aus dem Jahre 1655, besonders aber die Ausgaben der "Historia naturalis Brasiliae" von Piso und Marcgrav, die 500 schöne Abbildungen von Tieren und Pflanzen enthalten.
Berühmt ist ferner die Ausgabe von Helmonts "Ortus rnedicinae" und "Opuscula medica inaudita" (Amsterdam, 1652) und die illustrierten geburtshilflichen Werke von Pinaeus "De virginitatis notis, graviditate et partu" und Bonaciolus "De conformatione foetus" beide gedruckt in Leiden, 1641.
Erwähnung verdienen schliesslich verschiedene Werke von Piso, Florianus' Schrift "De empyemate", Jonstonus "Idea universae medicinae practicae", Lowers "Tractatus de corde", Hornes "Mikrotechne, seu methodica ad chirurgiam introductio" und die berühmte Neander'sche "Tabacologia".
Zahlreiche andere medizinische Elzeviere befinden sich teils in öffentlichen Bibliotheken, teils in den Händen medizinischer Bibliophilen, die den Wert dieser Meisterwerke der Buchdruckerkunst wohl zu
schätzen wissen.     Dr. Gl.

Kurt Paulus 3.4.99

 

 

Von illustrierten ärztlichen Handbüchern der späten Antike
und des Mittelalters

Von Dr. Ernst Bareaud

Medizinische Bücher bedürfen des Bildes. Die Notwendigkeit, die Handgriffe zu verdeutlichen, die der Arzt am Patienten vornimmt, wurde immer empfunden und so sind medizinische Werke zu allen Zeiten reich illustriert worden. Selbst als es noch keine Buchdruckerkunst gab, im Altertum und Mittelalter, als jedes Exemplar mit der Hand geschrieben und jedes Bild einzeln von einem Künstler hineingemalt werden musste, das Buch also selten und kostbar, ein wirkliches Kunstwerk war, wurden medizinische Werke reichlich illustriert.
Solche Bilder begleiten die Medizin durch ihre ganze Frühzeit, zeigen anschaulicher, als es das Wort vermag, die Art der Diagnostik, die Krankenbehandlung, die Operationsmethoden, die in der Zeit üblichen Heilpflanzen und vieles andere. Es ist möglich, sie untereinander und mit unseren eigenen zu vergleichen. Für die Geschichte der Medizin schlummern hier noch ungehobene Schätze. Es sind nicht gerade viele solcher Handschriften erhalten, denn Bücher, die der Benutzer täglich braucht, gehen meist zugrunde. Von manchen haben wir Stichproben in Werken über die Geschichte der Medizin oder über Miniaturen des Mittelalters, von vielen wissen wir nur, dass sie existieren, manche dürften noch unbekannt in abgelegenen Bibliotheken schlummern.
Wie solch ein Handbuch im Altertum aussah, zeigt eine schöne Handschrift, die sich heute in Florenz befindet. Sie ist etwa im 9. Jahrhundert geschrieben, geht aber auf ältere Abschriften und durch diese z. T. auf die Originale zurück. Das spätgriechische Altertum war ja wissenschaftlich ausserordentlich rege, es besass in Pergamon, Alexandria und Athen grosse Forschungsinstitute und reichhaltige Bibliotheken. Es gab Buchhändler, die durch Sklaven, die als Schreiber ausgebildet waren, die alten Texte vervielfältigen liessen. Aber die Auswahl wechselte nach dem Bedürfnis des Käufers, und so enthält unsere Handschrift zwar eine ganze Reihe von Schriften des Hippokrates und seiner Schüler und des Galen und seines Kreises, aber es sind nur zwei von ihnen illustriert, nämlich der Hippokrateskommentar des Apollonius von Kitium und die Verbandslehre des Soran von Ephesus. Während die Bilder zur letzteren Schrift zeigen, wie vielseitig die Erfahrung des antiken Arztes war, wie ausgeprobt schon die Methoden sind, mit denen die kompliziertesten Verbände angelegt und die Glieder fixiert werden, überraschen die 30 Illustrationen von Behandlungen von Verrenkungen zum Apollonius durch den Reichtum der Hilfsmittel. Wenn er sich auch gelegentlich damit begnügte, den Arm des Patienten über einen Türflügel herabhängen zu lassen, um so eine Reposition einer luxatio axillaris auszuführen, so hat er doch auch eine ganz orthopädische Einrichtung im Ordinationszimmer gehabt. Der eigentliche Operationstisch ist das berühmte Bathron, das Hippokrates konstruiert hatte. Es war eine Art Holzbett mit verstellbaren Brettern und Pflöcken. An seinen Schmalseiten waren Haspeln angebracht, die in schwereren Fällen zum Einrenken dienten. Die Darstellung dieses Gerätes ist nicht sehr deutlich. Offenbar kannte es der Maler nicht aus eigener Anschauung, sondern kopierte nach einer Vorlage. Der Arzt besass ferner ein rahmenartiges Gestell, in dem der Patient an den Füssen aufgehängt werden konnte, was man besonders gern bei Luxationen der Wirbelsäule getan zu haben scheint, eine Art verstellbarer Leiter, an der der Körper des Patienten aufrecht fixiert werden konnte, sowie Tische und Schemel zur Behandlung einfacherer Fälle. Diesem Arsenal von Hilfsmitteln entsprach die Zahl der Hilfspersonen. Der Arzt hat fast stets einen Assistenten, oft mehrere. Es kommt vor, dass vier Personen um den Kranken beschäftigt sind. Nie wird weibliches Hilfspersonal verwandt. Der Patient aber war „Patient" im wahrsten Sinne des Wortes. Wie ein Paket verschnürt liegt er wohl oder übel völlig regungslos auf dem Bathron, und der Arzt sitzt oder steht sogar mit seinem ganzen Gewicht auf seinem Leibe, um so den Druck zu verstärken. Es fällt auf, wie vielfältig bei alledem die Methoden waren. Es war ein Zeitalter von ausgebildeter medizinischer Kultur. Übrigens ist unsere Handschrift für Lorenzo de Medici 1491 in Kreta erworben worden, gehört also zu den Werken, die an der Wiege der Renaissance gestanden haben.
Bis zu dieser Wiederentdeckung aber war die Gelehrsamkeit des Altertums nahezu verloren gegangen. Die Werke selbst wurden zwar noch abgeschrieben und sogar an den mittelalterlichen Universitäten gelesen, aber ohne eigentliches medizinisches Verständnis, fast wie eine blosse Übung zur Gelehrsamkeit. Es war auch viel weniger die Praxis des Altertums als seine Theorie, etwa die Lehre von den Säften oder der Feuchtigkeit und Ähnliches, was die Ärzte der Scholastik interessierte. Ein medizinisches Kompendium etwa des 11. oder 12. Jahrhunderts enthält zwar manche wichtige Schrift in lateinischer Sprache. Aber schon rein äusserlich fällt es durch den Mangel an Anschauung auf, die offenbar für den Gelehrten keine Notwendigkeit war, da es ihm nur um den Text, nicht um irgend eine praktische Ausübung im antiken Sinne zu tun war.
Eine von wenigen Abbildungen in einem Londoner Hippokrates geht offensichtlich auch auf eine antike Vorlage zurück. Sie hat aber jede Plastik, jede Lebendigkeit verloren, die Gestalten sehen aus, als habe man ihnen gerade den Stuhl unterm Gesäss fortgezogen - er ist wahrscheinlich wirklich fortgelassen worden - und es gibt im Bilde keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Arten von Augen- oder Nasenoperationen. Wesentlich entwickelter scheint im Zusammenhang mit der Volksmedizin die Arzneikunde gewesen zu sein. Die Pflanzenbilder sind zahlreicher und die Gattungen individueller dargestellt.
Die eigentlichen medizinischen Kompendien des Mittelalters stehen in Zusammenhang mit der berühmten medizinischen Schule von Salerno, die ihrerseits wieder Verbindung mit der arabischen Medizin gehabt haben muss. Gerade in Unteritalien ist ja der Einfluss des Islam ganz ausserordentlich gewesen und hat bekanntlich bis in die Zeit der Hohenstaufen angedauert. Im abendländischen Mittelalter erscheint diese Gruppe als die des Rogier von Salerno  - er wird auch Rogier von Parma genannt und seine Tradition geht über einen Meister Roland bis zu den sogenannten vier Meistern. Eine ziemlich ausführliche Behandlung dieser Schule findet sich in Curlts Geschichte der Chirurgie. Doch bedarf das Verhältnis der Autoren zu einander und zu ihren Quellen noch sehr der Untersuchung. Jedenfalls aber entstammen dieser Gruppe diejenigen Handbücher, die als die meistgebrauchten des Mittelalters anzusehen sind, und zwar in allen Ländern. Am reichsten illustriert ist ein Exemplar in französischer Sprache, das sich im Britischen Museum befindet. Es enthält eine Art Chirurgie in vier Teilen, die den Kopf, die Schultern, den Hals und im letzten Teil alles andere behandeln; es folgt eine Art Pharmakopoe, Rezepte und eine sehr seltsame Diagnostik. Das ganze ist wissenschaftlich weit weniger durchgebildet als im Altertum, und es steckt viel Aberglauben dazwischen. Es mutet doch sehr seltsam an, wenn die „Melancolie oder Manie" durch Schnitte behandelt wird, die der Arzt kreuzweis in die obere Kopfseite macht, ohne dass auch nur die Tiefe dieser Schnitte angegeben wäre. Vieles erklärt sich aber aus der Zeit und ist, von ihr aus gesehen, ganz logisch. Die seltsame Einteilung des Werkes, die den ganzen Körper wie eine Art Anhängsel zur oberen Partie ansieht, ist durchaus aus den Waffen der Kreuzzugszeit zu verstehen. Offenbar waren die oberen Partien weit mehr gefährdet, Schädelfrakturen, bei denen häufig trepaniert werden musste, sind sicher auf die schweren Schwerter zurückzuführen und werden besonders ausführlich behandelt, ebenso die Pfeilwunden, die fast immer zwischen Hals und Schulter zu finden sind, also dort, wo zwischen Helm und Panzer wirklich die am wenigsten geschützte Stelle des Körpers lag. Sehr ausführlich werden auch die Leibwunden behandelt. Während vom Körper sonst recht summarisch die Rede ist, werden für die Fälle, in denen die Eingeweide durch Unterleibswunden vorfallen, sogar eine ganze Zahl von Abbildungen gegeben. Überhaupt ist das Kompendium sehr reichlich illustriert. Viele Seiten mit zahllosen kleinen Abbildungen sind dem Werk vorgeheftet. jede ist oben mit Bildern des Leidens Christi geziert -offenbar, um den Patienten durch diese Erinnerung zu trösten, wie ja auch heute noch Bilder von Heiligenmartyrien gern in den Krankenzimmern kirchlicher Institute aufgehängt werden. Die Bildchen medizinischen Inhalts aber sind sehr wenig genau, oft ganz unverständlich, namentlich nach der diagnostischen Seite. Und soweit sie Aufschluss geben können, zeigen sie nur, dass die Methode gegenüber dem Altertum sehr primitiv geworden ist. Es fehlt jede Apparatur und fast jede Hilfe. Während der antike Arzt den Arm des Patienten im Gestell fixierte, geschieht es jetzt durch eine Binde, die der Arzt selbst mit dem Fuss festhalten muss. Es war eine harte, kriegerische Zeit. Die medizinische Erfahrung war im Felde, auf Fehden und Heerzügen gesammelt worden. Der Arzt ist offenbar mehr Feldscher als Gelehrter gewesen. Es kam bei ihm alles auf die Praxis an. Die Bildchen gehen vielleicht auf bessere in Salerno selbst benutzte zurück - in dieser Gestalt aber konnten sie nur zur Erinnerung an Gelerntes oder selbst Erfahrenes dienen.
So ist es am Ende der Unterschied der Zeitkulturen und der Zeitgeschichte, der sich im Vergleich solcher Bilder zeigt. Es wird mehr als nur Methodisches, es wird vielmehr die Stellung der Medizin selbst in den Zeiten sichtbar.

Kurt Paulus 4.4.99